Der Vertrieb, wie wir ihn kennen und praktizieren, hat ausgedient und wird obsolet. Und: Künftig werden Unternehmen am Kundenservice gemessen und nicht am Preis. Was ist dran an diesen Thesen und wie müssen Dienstleister darauf reagieren?

Die aktuelle Zeit fordert von uns mehr Agilität, als uns lieb ist. Sie erwartet von uns, dass wir unternehmerisch denken, aktiv einschreiten und fundamentale Antworten auf nie da gewesene Herausforderungen finden. Die Harmonie der Märkte ist der Dysfunktionalität der Wertschöpfungsketten gewichen. Wir suchen händeringend nach Veränderungen, nach Vereinfachung, nach Innovationen hin zu neuer Produktivität, um uns das Leben im Facility Management leichter zu machen.
Verhältnis von Vertrieb und Betrieb: Wer denkt dabei zuerst an den Kunden?
Wir sehen es, wie so oft, aus unserer Sicht und übersehen dabei eines: den Kunden. Ich spreche heute nicht von marginalen Spurenelementen des Wachstums, sondern über eine fundamentale Relevanz – das Verhältnis von Vertrieb und Betrieb. Mal Hand aufs Herz: Wer denkt dabei zuerst an den Kunden?
Die Entwicklung im Facility Management begleitet mich seit nunmehr 31 Jahren. Durch meine vertriebliche Affinität habe ich mich über all die Jahre mit der wirtschafts- und verkaufspsychologischen Seite, also dem Herzen und dem Verstand unserer Kunden, auseinandergesetzt und fasse das Meinungsbild von hunderten von Kunden wie folgt zusammen:
Nr. 1: Der Vertrieb, wie wir ihn kennen und praktizieren, hat ausgedient und wird obsolet.
Nr. 2: Am Kundenservice, nicht am Preis, werden zukünftig Unternehmen gemessen.
Nr. 3: Ihre Mitarbeiter werden Freude an der Arbeit haben – oder das Unternehmen verlassen.
Der Vertrieb muss sich ändern
Kommen wir zu Statement Nr. 1. Ich bin davon überzeugt, dass die meisten von Ihnen mit der Vertriebsentwicklung innerhalb Ihres Unternehmens in den zurückliegenden 35 Jahren zufrieden waren. Was wir jedoch zukünftig ernst nehmen sollten, sind Aussagen von Unternehmern wie diese: "Wir erreichen mit unserem Vertrieb die Kunden nicht mehr." Was ist passiert, dass unsere Kunden nicht mehr an uns glauben?
Der Verkäufer hat nie gelernt, die Bedürfnisse des Kunden so seriös ernst zu nehmen, dass er den Beratungsbedarf über ein Billigangebot stellt. Er muss sich stets von unten nach oben hocharbeiten, da er durch die Jahreszielsetzung gar keine Zeit und keinen Spielraum zum authentischen Beziehungsaufbau auf Augenhöhe findet. So wird stets die dumpfe Jahresstrategie des Augen-zu-und-durch-Prinzips gewählt. Am Ende dieses Verkaufsprozesses winken die an die Ziele geknüpften Boni und Provisionen. Der Vertriebsblick geht stets nach innen: beliebig anmutende 365-Tage-Zielvorgaben, Umsatzrankings, anstrengende Verkäuferpersönlichkeiten, eine überdurchschnittliche Fluktuation, wohlproportionierte Firmenwagen und permanenter, intensiver Schulungsbedarf. Damit wandelt sich das Mittel-zum-Zweck-System und kehrt sich um. In diesem Augenblick dreht sich die Interessenlage des Verkäufers logischerweise vom Kunden weg und es geht nur noch darum, die eigenen Lohnziele zu erreichen. Der Kunde findet in der Regel nur noch als Mittel zum Zweck statt. Daraus entsteht tagtäglich eine Schicksalsgemeinschaft zwischen Vertrieb, Betrieb und Kunde, in der man versucht, sich von gegenseitigen Abhängigkeiten zu befreien, anstatt vertrauensvoll aufeinander zuzugehen.
"Die lauteste Meinung hat die leiseste Ahnung"
Erich Wagner, Geschäftsführer, Avanti Service, Ismaning (ab 1. März 2023): "Lässt sich dieses von mir aufgeschnappte Zitat auf unsere Branche ummünzen? Als ich vor über 15 Jahren im Vertrieb anfing, da war es relativ einfach, den Kunden zu überzeugen. Heute bedarf es dazu mehr. Der Kunde ist näher am Geschehen, besser informiert und sensibilisiert. Er ist auf Augenhöhe mit den Vertrieblern. Was wir also heute brauchen, sind keine Marktschreier, sondern kundenorientierte Problemlöser.
Der Mitbewerb hat sich drastisch verändert. Viele neue Anbieter drängen auf den Markt. Der Druck, einen neuen Auftrag zu generieren, steigt. Pflegen, Schützen, Werterhalt – das ist meist nur noch ein Slogan aus vergessenen alten Zeiten. Immer mehr Dienstleister verlieren das Wesentliche aus den Augen: die eigene Position auf dem Markt und unsere Kunden. Wir müssen lernen, unsere eigene Nische, unseren eigenen Markt zu finden und ihn dann nach den Wünschen und Ansprüchen des Kunden zu bedienen. Der Vertrieb muss sich vom altgedienten „Schema F“ verabschieden. Verkauf wird immer persönlicher, Prozesse immer langwieriger. Dies erfordert einen langen Atem und Geduld.
Durch Homeoffice und Flächenverkleinerungen wird unsere Flexibilität auf die Probe gestellt. Neue Sales entstehen und erfordern ein Umdenken im Verkaufsprozess. Die Nachhaltigkeit unserer Dienstleistung rückt in den Fokus des Kunden. Er erwartet ein proaktives Gestalten der Zusammenarbeit. Reinigungsroboter sind keine Werbeträger mehr, sondern ein echter Mehrwert. KI ermöglicht uns, mit den gewonnenen Daten gemeinsam mit dem Kunden einen Mehrwert zu generieren. Wir kommen um das Einbeziehen des Kunden in unsere Prozesse – und umgekehrt auch – nicht mehr herum. Ein gemeinsames Agieren ist gewünscht, sogar regelrecht gefordert.
Und der Wettstreit um die „guten Köpfe“ endet nicht in den Chefetagen. Längst hat das Buhlen um Vorarbeiter und Reinigungskräfte begonnen. Flexible Arbeitszeitmodelle sind in Ausarbeitung mit dem Kunden durchaus denkbar. Die Tagesreinigung ist kein No-Go mehr. Auch sollte man sich auf eine übertarifliche Bezahlung der Reinigungskräfte einstellen, unseren Geschäftspartnern ist es in den meisten Fällen wert. Wir sollten dies nur offener kommunizieren."
Das erzeugt Misstrauen und damit verlieren wir das wichtigste Instrument im Verkauf 4.0: Vertrauen. Die Lösung – ist ganz einfach: Stellen Sie auf die brutalstmögliche Art und Weise Ihre Wirkungspotenziale in den Dienst der Wertschöpfung Ihrer Kunden – Punkt.
Der Kundenservice ist entscheidend
Kommen wir zu Punkt Nr. 2. Nie zuvor waren Kunden mehr an der Wertschöpfung unserer Dienstleistungen interessiert – ja, sogar beteiligt. Die Initiative dazu ging meist von der Käuferseite aus. Dies hat dazu geführt, dass unsere Kunden heute die Lage richtig einschätzen und Investitionen sowie Personalkapazitäten nahezu on the point kalkulieren können. Selbst unsere Deckungsbeiträge kennen sie fast so gut wie wir selbst. Und je mehr der Kunde von uns Transparenz – unter anderem durch offene Kalkulation – erfährt, umso klarer erkennt er seine Einflussmöglichkeiten. Wir werden damit für ihn alles andere als unentbehrlich. Die Folge ist das Schreckgespenst eines jeden Dienstleisters: Vergleichbarkeit und damit Austauschbarkeit. Das Argument günstiger Preise ist damit obsolet – und das ist gut so.
Und dann ist da noch der Betrieb, der die Vertriebserfolge, die oftmals keine mehr sind, umsetzen muss. Niederlassungsleiter verzweifeln an zu billig verhandelten Preisen, nicht abgestimmter Kommunikation und an fehlenden Umsetzungsressourcen. Am Ende stehen ein dysfunktionaler Prozess, eine hohe Vertriebsfluktuation und ein enttäuschter Kunde, der wie 87 % aller Kunden heute eindeutig formuliert: "Wir lassen keine Verkäufer mehr ins Haus!"
Dazu kommt die hohe Reziprozität der Gebäudedienstleister, die sich noch immer ängstlich einander angleichen und voneinander abschreiben. Wir benötigen an dieser Stelle noch gar kein Kundenerlebnis: Ein konsequenter Kundenservice wäre hier schon ein Alleinstellungsmerkmal. Hochglanzbroschüren und selbsthuldigende, oft teuer bezahlte Unternehmensbeurteilungen via Bewertungsportale haben längst bei der Kundschaft ihre Glaubwürdigkeit verloren. Die Referenz und Empfehlung ist und bleibt die authentischste und glaubwürdigste Dienstleisterbewertung. Aber, und hier trennt sich die Spreu vom Weizen, dies ist an die Einhaltung des Leistungsversprechens geknüpft.
"Was benötigt unser Kunde wirklich?"
Fabian Erkert, Regionaldirektor, Geschäftsleitung, ISS Deutschland, Düsseldorf: "Leere Büros, Energieverknappung, Fachkräftemangel, ESG – Unternehmen sehen sich heute ganz anderen Herausforderungen gegenüber als noch vor ein paar Jahren. Die Welt ist vor allem eins geworden: unvorhersehbar. Für den IFM-Dienstleister bedeutet das, dass sich seine Rolle wandeln muss: vom Dienstleister zum strategischen Partner. Damit dies gelingt, müssen Vertrieb und Kundenservice von vorneherein aufeinander und vor allem gemeinsam auf die Kundenbedürfnisse abgestimmt sein. Weg von starren Leistungsverzeichnissen, welche keine Möglichkeit für Flexibilität bieten, hin zu dynamischen Modellen, welche die Schmerzpunkte unserer Kunden behandeln. Und genau mit diesen Modellen bleibt unser Vertrieb auch nach Vertragsabschluss in der Verantwortung.
Auch beim Auftraggeber sollte ein grundsätzliches Umdenken passieren: Weg vom preisgetriebenen Massentourismus mit unterschiedlichen Dienstleistern hin zu einem Dienstleister, der alle Sekundärprozesse des Kunden abnimmt und diesen gerne mit einem partnerschaftlichen Modell am betriebswirtschaftlichen Erfolg teilhaben lässt. Ein Beispiel: Alles über zehn Prozent Ergebnis wird mit einem Schlüssel (50/50) geteilt. Eine Alternative ist, dass man über ein kooperatives Konzept dem Kunden eine jährliche Einsparung von beispielsweise fünf Prozent seiner heutigen Ist-Kosten gewährt bei einer Mindestvertragslaufzeit von zehn Jahren. Denn seien wir mal ehrlich: Was sind schon drei Jahre?!
Und last, but not least, zum letzten Punkt des Autors: Ein Volltreffer. Ich möchte diesen wie folgt ergänzen: Wir Führungskräfte müssen ein Umfeld schaffen, in dem unsere Mitarbeitenden den bestmöglichen Job erledigen können. Sollte dies nicht gelingen, darf nicht der Mitarbeitende darunter leiden. Wir müssen uns als Coach sehen und die Mitarbeitenden trainieren sowie weiterentwickeln und schauen, welches Aufgabengebiet am besten passt. Im Fußball wird das Talent-Scouting aktiv betrieben – wer dies für seinen Bereich proaktiv umsetzt, wird mit engagierten und gut funktionierenden Teams belohnt."
Die Lösung, die Vision 2023, ist ganz einfach: Investieren Sie in Ihren Betrieb, in die Qualifizierung Ihrer Mitarbeiter. So generieren Sie den echten Beratungsansatz. Wer authentisch auftritt, unternehmerisch denkt, wer der Preisspirale auch mal mit einem überzeugenden Nein entgegentritt, erzeugt Glaubwürdigkeit bei seinen Kunden. Es geht um das Prinzip der Augenhöhe. Die Zeiten überforderter Objektleiter, die noch immer Wischmöppe persönlich zum Kunden fahren, sollten endgültig ad acta gelegt werden. Es braucht eine ausgereifte, selbstbewusste Kundenkommunikation. Mit einem neuen Gestaltungsauftrag setzen Sie glaubwürdige Standards in der Zukunft.
Mitarbeiterführung ist das Wichtigste
Und last, but not least zu Aussage Nr. 3. Meine Tochter studiert in Los Angeles und wir sprechen viel über ihre Ansprüche, Ziele und Visionen und die ihrer Kommilitonen. Das, was heute für junge Studenten zählt, sind nicht mehr Image, Firmenwagen und Provisionen, sondern Purpose und Beteiligung an sinnvollen Entwicklungsprozessen. Die Zeiten junger Menschen an den Kopierern hat sich zu einem antiquierten Sinnbild stilisiert. Wenn wir zukünftig im War of Talents die besten Mitarbeiter für uns gewinnen wollen, dürfen wir sie nicht wie kleine Kinder behandeln, sondern müssen Räume schaffen, in denen sie frei agieren dürfen. Für das alte Karriere- und Führungsleitbild gibt es heute bei der Next Generation kein Verständnis mehr. Apropos Führung: 9 von 10 Führungskräften reflektieren noch immer ihr eigenes Führungsverhalten als positiv. 7 von 10 Mitarbeitern in der DACH-Region verlassen das Unternehmen aufgrund unzureichender Führung. Dieses zum Großteil unreflektierte Missverhältnis hat eine beeindruckende Differenz.
Und das Fazit? Um ein Auto sicher durch die Straßen zu bewegen, benötigen wir einen Führerschein. Um Bäume zu fällen, brauchen wir den Kettensägenschein und selbst Fische gelten als schützenswert, was durch einen Angelschein bestätigt wird. Lediglich der Mensch wird einem ungeprüften und unlizenzierten Führungsverhalten ausgesetzt. In der Regel genügt es, wenn sich der Abteilungsprimus durch Fleiß und Ehrgeiz für das Unternehmen verdient gemacht hat.
"Auf Wiedersehen Vergleichbarkeit"
Sören Sven Stübing, Geschäftsbereichsleitung, Kötter Security, München: "Mir fällt spontan ein Ausspruch ein, den ich einmal in einer meiner größten Niederlassungen verwendet habe: „Der Vertrieb ist der natürliche Feind des Betriebs!“ Vertriebliche Aktivitäten und Erfolge rissen den Betrieb aus der bisherigen Komfortzone und dies verursachte, zum Glück nur im Innenwirken, erhebliche Spannungen. Aber kann man tatsächlich erwarten, dass ein mit „Widerwillen“ gewonnener Kunde entsprechend betreut und langfristig erfolgreich im Bestand bleiben wird?
Der Schlüssel ist die betriebliche Machbarkeit unter Berücksichtigung des notwendigen Vertriebserfolgs und der Freude des Betriebs am neuen Kunden. Schon lang ist in meinem Team der Niederlassungsleiter ein wichtiger Vertriebsmitarbeiter, denn mit seinem Erfolg bei den Bestandskunden trägt er wesentlich zur Stabilität, aber auch dem Wachstum bei.
Leider ist in vielen Bereichen unserer Branche der Preis immer noch der Gradmesser, getrieben auch durch die öffentliche Hand mit Ihren 100-%-Preisausschreibungen. Ein Gutes hat dies jedoch, wir sparen uns Vertriebskapazitäten, da wir uns daran nicht beteiligen.
Unser Gesellschafter fragte einmal: „Herr Stübing, wer ist unsere größte Konkurrenz in Ihrem Bereich?“ Ich sagte ihm, dass ich das nicht sagen kann, weil jeden Tag ein neuer Konkurrent auftaucht. Umso wichtiger ist daher tatsächlich der Fokus auf Lösungen. Mit dem Blick auf die Umsatzvorgaben ist das nur schwerlich zu erreichen, denn der schnelle Erfolg steht vor der echten, längerfristig zu erarbeitenden Lösung. Auf Wiedersehen Vergleichbarkeit, herzlich willkommen in der Wertschöpfungskette des Kunden. Wenn beide Seiten dies erkennen und leben, haben wir die Chance auf eine Rückkehr zu einem seriösen Wettbewerb.
Die Aussagen des Autors zum Thema Mitarbeiterführung hätte ich nicht besser formulieren können. Der Vergleich mit dem Führerschein, der Kettensäge und dem Angelschein lässt nicht nur schmunzeln, sondern trifft den Nagel auf den Kopf."
Mit dieser Logik machen wir Ehrgeizlinge zu Führungskräften, die weder Interesse an Menschen haben, noch wissen, mit welchen Werkzeugen sie Menschen motivieren und führen können. Wir fragen sie noch nicht einmal, ob sie sich selbst dafür geeignet erklären. Andererseits kämen wir doch niemals auf die Idee, jemanden, der keine Affinität oder Motivation für Zahlen hat, eine kaufmännisch geprägte Position anzubieten. Und ja: Natürlich zählt der Gewinn. Aber die Wege dahin sind heute andere als die von gestern. Oder, um es mit Albert Einstein zu sagen: "Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun, und andere Ergebnisse zu erwarten."
Es wird Zeit, zu erkennen, dass Mitarbeiterführung nicht einfach eine erlernbare Fachkompetenz ist. Sie ist das Wichtigste und Edelste in der Unternehmensführung. So entsteht echte Wertschöpfung, entsteht Purpose, der ins 21. Jahrhundert passt. Erkennen Sie die Probleme Ihrer Kunden und helfen Sie, diese zu lösen. Dann können Sie die Rechnung stellen. Auch, wenn Sie noch zweifeln sollten: Tradition ist kein Geschäftsmodell. Die Zukunft passiert trotzdem. Ab … jetzt!
Wolfgang Bötsch, Netzwerkstrategie.com | markus.targiel@holzmann-medien.de