Für Hamburg-Touristen wie für Einheimische ist es ein Spektakel, wenn die Fassade der Elbphilharmonie sauber gemacht wird. Für die Reinigungsunternehmen ist es hingegen eine harte, hochkritische Arbeit, der eine lange und akribische Organisation vorausgeht.

Die Hamburger Elbphilharmonie ist ein Renommierobjekt. Auf einem alten Backsteinspeicher erhebt sich eine aus blauen Glaselementen gefertigte, wellenförmig aufschwingende Fassade, die eine optische Verbindung zwischen Wasser und Himmel eingeht. Mit dieser einzigartigen Architektur und einer Höhe von 110 m prägt das Haus, in dem außerdem ein Hotel und Appartements untergebracht sind, das Bild der Freien und Hansestadt Hamburg.
Die exponierte Lage inmitten des Hamburger Hafens hat allerdings einen kleinen Schönheitsfehler: Die Abgase des Schiffs-, Fähr- und Zubringerverkehrs, der gegenüberliegenden Raffinerie und die Luftverschmutzung durch den nahegelegenen Flughafen Fuhlsbüttel und die Airbus-Werft legen innerhalb weniger Monate eine Patina aus Rußpartikeln auf die Glasfassade. Daher muss sie regelmäßig – und zwar drei Mal im Jahr – gereinigt werden. Die für das komplette Haus- und Gebäudemanagement der Elbphilharmonie zuständige Firma SPIE Deutschland & Zentraleuropa (Ratingen) beauftragte daher ihren langjährigen Kooperationspartner ABO Glasreinigung aus Wang. Das Unternehmen ist auf die Fassaden- und Glasreinigung mit Höhenzugang spezialisiert und beispielsweise an zahlreichen Wolkenkratzern "Mainhattans" bei der Arbeit zu beobachten.
Extrem anspruchsvolle Fassade
Geschäftsführer Armin Bornschlegl war von Anfang an bewusst, dass dieser Auftrag besonders herausfordernd sein würde: Da die Außenhülle aufgrund ihrer Form ausgesprochen schwierig und nur über Klettertechnik zugänglich ist, musste ein umfangreiches Sicherheitskonzept erstellt werden, das durch das Amt für Arbeitssicherheit begleitet, kontrolliert und optimiert werden sollte. "Die Glasfassade der Elbphilharmonie besteht aus 1.100 individuell angefertigten Teilen. Über die gesamte Fläche von 21.800 m² sind wellenförmige, bis zu 6 m hohe, gläserne Windschotts eingesetzt, teilweise sind die Scheiben konkav, konvex, konisch, spitz zulaufend oder kaum zugänglich. Eine solche Glasfront lässt sich sinnvoll nur mit vollentsalztem Osmosewasser säubern, denn es hat eine hervorragende Reinigungswirkung und trocknet schnell und streifenfrei ab. Dazu kommt, dass bei diesem Verfahren keine Umweltbelastung entsteht, was angesichts der direkten Elblage des Gebäudes ebenfalls ein wichtiger Gesichtspunkt ist. Aufgrund der uns vorgegebenen Faktoren haben wir den Auftrag anfangs abgelehnt", erklärt Armin Bornschlegl.
Seit sechs Jahren reinigt sein Unternehmen in Zusammenarbeit mit den Industriekletterern der 3ker Ras Group aus Berlin die Fassade von Hamburgs berühmtem Konzerthaus. In den ersten drei Jahren wurden die beiden Unternehmen dabei von Arbeitssicherheitskontrolleuren begleitet, die das erstellte Sicherheitskonzept täglich überprüften und bei Bedarf Anpassungen vornahmen. Inzwischen ist längst Routine eingekehrt, denn die Elbphilharmonie wird stets von demselben eingespielten Team bearbeitet.
Langwierige Vorbereitungsphase
Jeden Frühling, Sommer und Herbst sind bis zu zehn Kletterer vier Wochen lang mit der Glasreinigung der Elbphilharmonie beschäftigt. Bevor die als Fensterreiniger ausgebildeten Abseiler jedoch ans Werk gehen können, sind eine akribische Planung und Vorbereitung der Arbeiten notwendig. "Die Ablaufplanung beginnt etwa drei Monate vor dem eigentlichen Starttermin und beinhaltet eine genaue Absprache mit allen am Auftrag beteiligten Gewerken. Dazu zählen beispielsweise der Sicherheitsdienst und die Haustechnik der Elbphilharmonie, das Hotelpersonal und der Concierge des Hauses. Außerdem wird eine Fährgesellschaft informiert. Sie muss für einen Zugang der zur Waterkant gelegenen Nordseite sorgen, da die Kletterer das Gebäude von unten besteigen müssen; das Abseilen vom Dach des Konzerthauses ist nicht erlaubt", erklärt Nico Hirsch, Bereichsleiter Nord bei ABO Glasreinigung.
Während der ersten Tage wird daher auch ein Ponton auf dem direkt an das Konzerthaus angrenzenden Fleet verankert. Auf diesem wird anschließend ein Gerüst als Aufstiegshilfe montiert. Und weil die Kletterer nicht zum Ponton schwimmen können, sorgt die Fährgesellschaft auch für das Übersetzen der Mitarbeiter, so lange sie den zur Waterkant gelegenen Fassadenbereich reinigen. Bei aller Vorbereitung muss auch das Wetter berücksichtigt werden. Bis Windstärke 5 können die Abseiler arbeiten, darüber hinausgehende Windstärken sind – ebenso wie Stark- und Dauerregen, Schnee oder Gewitter – für die Beschäftigten zu gefährlich.
Umfassende Sicherheitsvorkehrungen
Bereits sieben Tage vor Beginn der eigentlichen Glasreinigung wird es an der Elbphilharmonie noch geschäftiger. Dann wird das gesamte Equipment angeliefert und der Aufbau beginnt. Da die Reinigungsarbeiten an der Nordseite losgehen, wird dort alles vorbereitet, damit die Kletterer per Seiltechnik auf das 110 m hohe Gebäude aufsteigen können. Auf der Plaza, einer für Besucher zugänglichen umlaufenden Aussichtsplattform, werden Schutzgitter montiert. Sobald die Reinigung an der Süd- und Stirnseite des Gebäudes beginnt, werden im straßenseitigen Publikumsbereich außerdem mit Netzen bespannte Gerüste und Absperrungen aufgestellt; sie sollen die Passanten gegen herabfallende Materialien, gröbere Schmutzteile und Spritzwasser schützen.
Strikte Zugangsbeschränkungen
Am Aufbaumontag wird auch die Osmoseanlage aufgestellt. Sie muss dazu in die 26. Etage der Elbphilharmonie transportiert und von dort durch den Wohnbereich auf das Dach der Elbphilharmonie gebracht werden. Diese Arbeit – wie auch alle anderen Tätigkeiten auf dem Dach des Konzerthauses – dürfen nur durch die Abseiler vorgenommen werden. Um sie gegen Absturzgefahren zu schützen, wurde daher entlang der Dachkante ein Taurus-Umlaufschienensystem von Innotech (Kirchham, Österreich) montiert. Darauf bewegen sich Gleiter, die als bewegliche Anschlagspunkte dienen. In diesen hängen sich die Kletterer ein und können sich so im gesamten Schienenverlauf ungehindert bewegen. Dadurch gelangen sie sicher zu allen wichtigen Punkten auf dem Dach, insbesondere zum Schlauchsystem für die Versorgung der Reinigungskräfte mit Osmosewasser. Es wurde vor zwei Jahren fest verlegt und versieht sämtliche Bereiche des Dachs mit Anschlüssen, an denen sich die Fensterreiniger andocken können. Bevor die Reinigungsarbeiten begonnen werden, müssen jedoch sämtliche Schlauchleitungen geleert und gespült werden, damit eine einwandfreie Funktion des Systems gewährleistet ist.
Kletterer, die Fensterreinigung können
Währenddessen bereiten sich die Abseiler auf ihren Einsatz vor. Sie alle sind bereits von Anfang an bei der Reinigung der Elbphilharmonie dabei und verfügen über langjährige Erfahrung im Höhenzugang. "In Hamburg setzen wir ausschließlich professionelle Kletterer ein, die beispielweise aus der Bergwacht oder einem Bergrettungsdienst kommen. Sie haben bei uns eine zusätzliche Ausbildung für die Glasreinigung erhalten. Mit diesem Vorgehen haben wir uns von unseren ersten Überlegungen verabschiedet, Gebäudereiniger in Klettertechnik auszubilden. Das hat nicht funktioniert", berichtet Armin Bornschlegl, und ergänzt: "Da die Arbeiten an der Elbphilharmonie hochkritisch sind, haben wir uns zusätzliche Unterstützung durch Industriekletterer der 3ker Ras Group geholt. Das Unternehmen stellt besonders erfahrene Abseiler, die von Anfang an mit unserem Team zusammenarbeiten. Diese Kooperation hat sich bewährt."
Der Chef muss sich raushalten
Die Kletterer sind aufgrund der schwierigen Gebäudebedingungen an der Elbphilharmonie eigenverantwortlich tätig. Das bedeutet unter anderem, dass sie die Anschlag- und Ankerpunkte, an denen die Seile befestigt werden, selber bestimmen. Weder der Gebäudemanager der Elbphilharmonie noch der Arbeitgeber haben dabei ein Mitspracherecht. Außerdem entscheidet jedes Paar selbst – aus Sicherheitsgründen gehen immer zwei Kletterer ans Werk –, wie viel Zeit sie für die Abarbeitung der Aufgaben benötigen. Pro Abschnitt sind das ungefähr zwei Stunden. Danach wird eine ebenso lange Pause eingelegt und anschließend der nächste Abschnitt vorbereitet.
Unterstützt werden die Teams durch je einen Mann im Publikumsbereich und auf dem Dach des Gebäudes. Am Boden hat der Kollege die Aufgabe, verhedderte Seile wieder zu lösen, Neugierige aus dem Gefahrenbereich zu verscheuchen und gegebenenfalls Seile nachzuspannen. Der Mitarbeiter auf dem Dach hilft hingegen bei den Vorbereitungen zum Abseilen – etwa beim Anschließen der Osmosewasserversorgung, dem Umhängen der Seile und der Motorwinde, mit denen sich die Mitarbeiter am Gebäude nach oben ziehen lassen.
Scheibencheck und Glasreinigung
In diesem Frühjahr stand der erste der drei Glasreinigungsaufträge für 2022 an – allerdings mit einem erweiterten Auftragsinhalt. Beim Aufstieg sollten die Kletterer den Gesamtzustand jeder einzelnen Scheibe inklusive der Panoramafenster des Plaza, dem Void des Hotels sowie der Fenster im Innenhof des Wohnbereichs kontrollieren und dokumentieren. Sie sollten die Dichtungen überprüfen, aufgetretene Korrosionsschäden feststellen und jeden Schaden notieren und fotografieren.
Beim Abstieg waren dann alle Glasscheiben sowie die Fenster der im alten Speicher befindlichen Verwaltungsräume zu reinigen. Die Kletterer waren daher nicht nur mit Teleskopstange und weichem Bürstenaufsatz, sondern auch mit einem Notizblock und einer Kamera sowie einem Fensterreinigungsset ausgerüstet. Dazu kam ein Glassauger, der mehr Stabilität bei plötzlich aufkommenden Windböen bietet. Zusammen mit dem eigenen Klettergeschirr, einem wasserdichten Overall und Sicherheitsgummistiefeln, dem Sitzbrett sowie der Motorwinde haben die Abseiler damit etwa 10 bis 15 kg am Mann.
Ein Ergebnis, das sich sehen lassen kann
Die Glasreinigung der Elbphilharmonie ist definitiv ein Prestigeobjekt – das sagen sowohl Armin Bornschlegl als auch Karl Polack von der 3ker Ras Group. Aber es handelt sich um eine hochkritische Tätigkeit, weshalb für die Vorbereitung und die Ausführung immer mit derselben Mannschaft gearbeitet wird. Die Kletterer kennen das Gebäude inzwischen sehr gut und gehen sehr routiniert ans Werk. "Dennoch sind wir nicht gegen alle Vorkommnisse gefeit. So machen uns die sich rasch ändernden Wetter- und Windverhältnisse in Hamburg und an dem Gebäude manchmal einen Strich durch die Rechnung", berichtet Armin Bornschlegl. Dann müsse man die Reinigung abbrechen und auf besseres Wetter warten. "Trotzdem sind wir bisher immer in der veranschlagten Zeit fertig geworden und freuen uns mit unserem Auftraggeber über eine strahlend schöne Elbphilharmonie", fasst der Firmenchef abschließend zusammen.
Dipl.-Ing Sabine Anton-Katzenbach | markus.targiel@holzmann-medien.de