Exoskelette – eine Option für die Reinigung?

Beschäftigte im Reinigungssektor verrichten tagtäglich anstrengende und physisch belastende Arbeit, die gerade durch die Dauer über mehrere Stunden, Tage, Wochen und Jahre einen körperlichen Tribut einfordert. Die Einführung von Exoskeletten bietet hier möglicherweise eine Lösung.

Exoskelette sind dazu gedacht, bestimmte Körperhaltungen zu ­stabilisieren oder auch ­zusätzliche Kraft für die Ausführung einer ­Bewegung zu erzeugen. - © Ottobock

Grundsätzlich sollten Arbeitsplätze so gestaltet sein, dass die Gesundheit der Beschäftigten erhalten bleibt. Bereits heute erleichtern im Umfeld der Gebäude­reinigung verschiedene Gerätschaften die Arbeit und beugen so unter anderem Nacken- oder Schulterschmerzen vor – sei es beim Reinigen von Böden, Fenstern oder auch Fassaden. Beispielhaft lassen sich hier sogenannte Rucksacksysteme nennen, ­etwa in Form von Saugern oder auch als Tragegestell für wasserführende Teleskopstangen zur Glas- und ­Fassadenreinigung.

Wenn sonstige Maßnahmen und unterstützende ­Gerätschaften aber an ihre Grenzen stoßen, weil die körperliche Belastung der Mitarbeitenden nicht in ausreichendem Maße nachlässt, kann die Anschaffung und der Einsatz eines Exoskelettes eine weitere Option sein.

Was ist ein Exoskelett?

Ein Exoskelett ist – wie der Name schon sagt – ein Außenskelett, das als ein eng am Körper anliegendes ­Assistenzsystem fungiert. Es unterstützt den Träger bei Aufgaben, die nicht automatisiert und nicht durch einen Roboter oder eine Maschine ausgeführt werden können, indem es bestimmte Körperhaltungen stabilisiert oder auch eine zusätzliche Kraft für die Ausführung einer Bewegung erzeugt.

Exoskelette können also die menschliche Leistung verstärken und werden eingesetzt, um anstrengende Aufgaben – zum Beispiel das Bewegen schwerer Lasten – auf gesündere, schonendere und sicherere Weise auszuführen. Mit anderen Worten: Der Benutzer selbst muss zur Ausübung seiner Tätigkeit weniger Muskelkraft aufbringen. Das ist deshalb relevant, weil die Verteilung der genutzten Muskelkraft auch zu weniger Belastung der Gelenke und Sehnen führt. Weniger Muskeltätigkeit bedeutet weiterhin, dass eine Person weniger schnell ermüdet. Dies ist vor allem dann entscheidend, wenn eine Muskelpartie permanent und über die Maßen strapaziert wird.

Ein solches Exoskelett muss nicht den ganzen Körper umfassen, sondern kann auch nur Teile davon entlasten, beispielsweise den Rücken, die Schulter, den Arm oder die Beine. Grundsätzlich gilt aber, dass Exo­skelette eine sehr körpernahe Unterstützung bieten. Da nicht jedes Exoskelett für jeden gleich angenehm und hilfreich sein mag, ist je nach Anwender und Anwendungsgebiet jeweils ein spezifisches Exoskelett auszuwählen.

Passive und aktive Varianten

Man unterscheidet zwischen zwei Arten von Exo­skeletten – aktive und passive. Aktive Exoskelette benötigen Strom, arbeiten mit Motoren und Sensoren und helfen dabei, die jeweilige Bewegung bestmöglich zu unterstützen. Passive Exoskelette machen sich hingegen die Rückstellkraft von Feder- und Seilzugmechanismen zunutze. Motoren oder Strom spielen hier keine Rolle. Welche Art von Exoskelett für die jeweilige Branche und die einzelne Person in Frage kommt, hängt von der räumlichen Umgebung, den Arbeitsabläufen, der generellen Infrastruktur, aber auch vom persönlichen Empfinden ab. So lassen sich je nach Anwendungsgebiet Pro- und Contra-Argumente finden, die gegeneinander abzuwiegen sind.

  • Bild 1 von 4
    © Ottobock
    Grundsätzlich sind Exoskelette an allen Arbeitsplätzen denkbar, bei denen körperliche Arbeit in Zwangshaltungen oder immer wiederkehrenden Körper­bewegungen zu leisten sind – ­beispielsweise wie hier im Umfeld der ­Warenlogistik.
  • Bild 2 von 4
    © Ottobock
    Unter ­anderem bei der Glas- und Fassaden­reinigung könnten Exoskelette unterstützen. Im Bild ein Testeinsatz beim niederländischen Dienstleister Asito.
  • Bild 3 von 4
    © Ottobock
    Beispiel für den Einsatz eines passiven Exoskelettes bei Überkopf-Arbeiten. Passive Exoskelette machen sich die Rückstellkraft von Feder- und Seilzugmechanismen zu nutze.
  • Bild 4 von 4
    © German Bionics
    Beispiel für ein aktives Exoskelett: Es arbeitet mit Elektromotoren zur bestmöglichen Unterstützung von Bewegungen beziehungsweise zur Reduzierung von Gewichtsbelastungen.

Passive Exoskelette setzen sich inzwischen aufgrund des günstigeren Preises und der geringeren Komplexität immer schneller durch. Sie sind oftmals leichter und einfacher zu bedienen. Auch die Berührungsangst ist niedriger, da sich ein passives Exoskelett eher wie ein Gurt- oder Rucksacksystem anfühlt, das einem beispielsweise aus Sportarten wie dem Klettern bekannt ist.

Aktive Exoskelette mit Motoren (inklusive der Begleitgeräusche) können hingegen zunächst für Irritationen sorgen und zu einer längeren Eingewöhnungsphase führen. Dafür können sie sich an unterschiedliche Gegebenheiten anpassen, wie beispielsweise an das zu hebende Gewicht. Aktive Exoskelette sind also in der Lage, die Last für den Mitarbeiter deutlich zu mindern (Gewichtsreduzierung), während passive Exoskelette sich mehr für eine präventive Verbesserung der Körperhaltung und -bewegung eignen.

Ein Beispiel für einen Hersteller aktiver Exoskelette ist das Augsburger Unternehmen German Bionic Systems. Passive Exoskelette gibt es unter anderem von ErgoSchutz, Hunic, Ottobock oder SuitX.

An welchen Arbeitsplätzen, bei welchen Tätigkeiten?

Grundsätzlich sind Exoskelette an allen Arbeitsplätzen denkbar, bei denen körperliche Arbeit in Zwangshaltungen oder immer wiederkehrenden Körperbewegungen zu leisten sind. Insbesondere kommen sie dort infrage, wo andere technische Hilfsmittel an ihre Grenzen stoßen. Dies gilt vor allem dann, wenn Beschäftigte – und damit auch Reinigungskräfte – ­ihre Arbeit nicht stationär und dauerhaft an einem Ort verrichten können.

Auch im Bereich Rehabilitation kommen Exoskelette mittlerweile verstärkt zum Einsatz. Die Zielsetzung ist hier aber eine andere – nämlich die Beweglichkeit einer Person wiederherzustellen. Das erfordert andere Mechanismen und Hilfestellungen, als eine bewegliche und gesunde Person bei ihrer körperlichen Arbeit zu entlasten. Was Letzteres betrifft, kann man zwischen verschiedenen Arten von Tätigkeiten unterscheiden, bei denen Exoskelette Hilfestellung bieten: So unterstützen sie zum einen bei Hebe- und sich wiederholenden Bewegungen, zum anderen aber auch beim Sitzen und Greifen.

Ganz allgemein kann ein Exoskelett bei Aufgaben und Tätigkeiten sinnvoll sein, die wiederkehren und sich ähneln. Bezogen auf die Reinigungsbranche ein paar Beispiele:

  • Fenster reinigen,
  • Fassaden reinigen,
  • Boden sanieren,
  • Dach und Solarpaneele reinigen,
  • Schneeräumen,
  • Wischverfahren.

Alle diese Arbeiten vereinen eine Belastung der Schultern, der Handgelenke und des Rückens. Im Reinigungsgewerbe empfiehlt es sich also, speziell solche Exoskelette in Betracht zu ziehen, die insbesondere in diesen Bereichen Unterstützung bieten.

Sind auch negative Effekte möglich?

Bei all den Vorteilen, die der Einsatz eines Exoskelettes mit sich bringen mag, stellt sich aber auch die Frage: Ist bei einer täglichen Dauernutzung unter Umständen mit negativen physischen Folgen zu rechnen – beispielsweise mit einem Abbau der Muskulatur aufgrund einer permanenten Minderbelastung?

Um diese Frage valide beantworten zu können, müssen erst ausreichende Erkenntnisse sowie Praxiserfahrungen gesammelt und entsprechende Forschungen durchgeführt werden. Aus diesem Grund hat der Fachbereich Handel und Logistik der DGUV das Projekt "Exo@work – Bewertung exoskelettaler Systeme in der Arbeitswelt" initiiert, welches von der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik finanziert wird. Dabei werden die Wirksamkeit von Exoskeletten im betrieblichen Einsatz sowie deren Auswirkungen auf die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten ­untersucht. Ziel des Projektes ist die Entwicklung eines Leitfadens zur Evaluation von Exoskeletten als Handlungshilfe für die Arbeitswelt. Auch wenn der Fokus dieses Projektes nicht explizit auf den Bedarfen der Reinigungsbranche liegt, so lassen sich hier dennoch einige Hilfestellungen ableiten.

Neben der Betrachtung des potenziellen Muskelauf- oder -abbaus ist auch die Kräfteumverteilung zu berücksichtigen, die durch die Anwendung eines Exo­skeletts eintritt. Denn wenn einzelne Glieder in einer Kette entlastet werden, aber dadurch das nächste Kettenglied leiden muss, verfehlen Exoskelette ihren Nutzen. Grunsätzlich gilt: Die Kräfte, die ein Exoskelett aufbringt – sei es durch Energiespeicher oder elektrische Aktoren –, erzeugen immer eine Gegenkraft am System Mensch. Wichtig bei der Verteilung dieser Kräfte ist, offensichtliche Schwachstellen zu entlasten und zusätzliche Belastungen dort einzubringen, wo diese stützend wirken können, oder auf stärkere Kettenglieder auszuweichen. Um sicherzustellen, dass das Exoskelett an keiner anderen Stelle zu Schäden führt, sollte unter anderem auf eine CE-Zertifizierung geachtet werden.

Kosten und Fördermöglichkeiten

Die Preise für Exoskelette bewegen sich, je nach Modell, im Bereich zwischen 600 bis 12.000 Euro. Passive Exoskelette befinden sich dabei eher im niedrigeren Preissegment, das bei bis zu 4.000 Euro anzusetzen ist. Grundsätzlich sind neben der Anschaffung des Exoskeletts noch weitere Kosten einzuplanen, und zwar für:

  • Testphasen: Vor dem Kauf sollten zunächst verschiedene Hersteller angesehen und getestet werden. Je nach Tätigkeit und Person kommen verschiedene Produkte in Frage.
  • Mitarbeiterschulungen: Ein Exoskelett ersetzt vor allem nicht die ergonomische Arbeitsweise und muss korrekt getragen und eingesetzt werden. Dies erfordert entsprechende Schulungen und Weiterbildungen.
  • Wartungs- und Reinigungskosten: Einige Exoske­lette sind waschbar oder zumindest Teile davon. Es gibt aber auch Produkte, die in bestimmten Zeit­intervallen – zum Beispiel alle zwölf Monate – zur Reinigung und Wartung eingeschickt werden müssen.
  • Dokumentation und Evaluierung: Während der ersten Wochen bedarf es einer umfassenden Dokumentation, um auch nachweisen zu können, dass der Einsatz von Exoskeletten hilfreich ist.

Bislang beteiligen sich weder die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) noch die Berufsgenossenschaften mit einem Zuschuss am Kauf eines Exoskeletts. Eine Ausnahme gibt es für schwerbehinderte Beschäftigte; für sie kann ein Exoskelett als technisches Hilfsmittel im Rahmen der begleitenden Hilfe komplett finanziert werden.

Dass Hilfsmittel erst dann von der GKV zu zahlen sind, wenn sie im Hilfsmittelverzeichnis gelistet sind, ist allerdings ein weit verbreiteter Irrtum. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes handelt es sich bei dem Hilfsmittelverzeichnis gerade nicht um eine sogenannte Positivliste, sondern ­lediglich um eine Orientierungshilfe für den Sachbearbeiter der Krankenkasse. Zugangsvoraussetzung für ein Hilfsmittel ist nur das Vorhandensein einer CE-Kennzeichnung im Zusammenhang mit einem Funktionsnachweis über die bezweckte Verwendung. Daher ist es immer ratsam, bei den eigenen Krankenkassen nachzufragen und auf eine CE-Zertifizierung zu achten.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Exoskelette haben auch in der Reinigungsbranche enormes Potenzial. Doch ist ihr Einsatz an den spezifischen Bedarf der Mitarbeiter und dem entsprechenden Nutzungsszenario anzupassen. Dies kann es auch erforderlich machen, dass im Sinne eines effizienten Einsatzes dieser nicht preiswerten Technologie Arbeitsabläufe anzupassen sind, um eine durchgängige Nutzung durch eine Person zu ermöglichen.

Sophia Giegold, Désirée Neeb, Prof. Dr.-Ing. Dietmar Wolff | guenter.herkommer@holzmann-medien.de

Dietmar Wolff - © HS Hof

Prof. Dr.-Ing. Dietmar Wolff ist Leiter der Forschungsgruppe ­Innovative ­Gesundheitsversorgung am Institut für ­Informationsysteme der Hochschule Hof.

Sophia Giegold - © HS Hof

Sophia Giegold, M.Sc., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Innovative Gesundheits­versorgung am Institut für Informationsysteme der Hochschule Hof.

Désirée Neeb - © HS Hof

Désirée Neeb, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der ­Forschungsgruppe Innovative Gesundheits­versorgung am Institut für Informationsysteme der Hochschule Hof.