Das Lieferkettengesetz zwingt aktuell viele Unternehmen, sich systematisch mit ihrem Lieferantenmanagement zu befassen. Hierin ruht auch die Chance, im Markt ein nachhaltiges Profil zu zeigen.

Zum Jahreswechsel tritt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, kurz Lieferkettengesetz, in Kraft – zunächst nur für Unternehmen ab 3.000 Beschäftigten. Ab 2024 sinkt diese Schwelle auf mindestens 1.000 Arbeitnehmende. Indirekt sind aber allein in Deutschland Zehntausende von kleinen und mittleren Unternehmen betroffen. So zum Beispiel die Zulieferer und Dienstleister der großen Unternehmen, aber auch Handwerksbetriebe, die an größeren Projekten von ihnen mitarbeiten. Sie alle werden, prognostiziert Dr. Jens-Uwe Meyer, Vorstandsvorsitzender von Innolytics (Leipzig), im Laufe des nächsten Jahres von ihren Kunden dazu aufgefordert werden, Fragen zu beantworten wie:
- Wie kontrollieren Sie die Arbeitsbedingungen?
- Wie sehr beachten Sie Umweltschutzbelange?
- Was wissen Sie über Ihre Lieferanten, Dienstleister und Subunternehmer?
Die meisten Empfänger werden dies primär als bürokratisches Ärgernis empfinden. Doch dahinter steckt laut Christian Herlan, Vertriebsberater bei der Bruchsaler Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, mehr. Das Lieferkettengesetz steht für ihn für "einen tiefgreifenden Wandel in der Wirtschaft: weg von Profiten um jeden Preis, hin zu einem nachhaltigen, verantwortungsvollen Wirtschaften."
Unternehmen, die diesen Trend als Wettbewerbsvorteil nutzen wollen, biete eine systematische Beschäftigung mit ihren Lieferketten beziehungsweise dem Lieferkettengesetz die Chance, "sich bei den Zielkunden als zuverlässiger, nachhaltig wirtschaftender Partner zu profilieren" – gerade in Zeiten wie diesen, in denen viele Unternehmen erkannt hätten, wie wichtig stabile Lieferketten für den Unternehmenserfolg seien.
Hinzu kommt: Die Konsumenten beziehungsweise Kunden achten heute verstärkt darauf, wie Produkte hergestellt und Dienstleistungen erbracht werden. Das Mantra der 2010er-Jahre, "Hauptsache billig und verfügbar, und zwar schnell", gelte zwar immer noch, doch zwei weitere Faktoren kämen hinzu: "Hauptsache fair" und "Hauptsache nachhaltig" beziehungsweise "... umwelt- und klimaschonend".
Die Fragen der Generation Hafermilch
"Was vor zehn Jahren eine Nische war, ist heute ein breites Kundenbedürfnis", erklärt Barbara Liebermeister, Leiterin des Frankfurter Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), die vor ihrer Beratertätigkeit unter anderem im Marketing der Konzerne Christian Dior und L´Oreal arbeitete. "Es gibt eine neue Konsumentenschicht, die in Fachkreisen ironisch Generation Hafermilch genannt wird." Diese Generation bestehe vor allem, jedoch nicht nur aus Menschen zwischen 18 und 30 Jahren, die in den Metropolregionen leben, und stelle an die Unternehmen Fragen, die für Unternehmer der alten Schule oft merkwürdig klingen:
- Kann man die Betonwand durch eine Wand aus nachhaltig produziertem Holz ersetzen?
- Ist Palmöl im Produkt – und wenn ja, wo kommt es her?
- Bezahlt das Unternehmen faire Löhne an seine Mitarbeiter und faire Entgelte an seine Zulieferer weltweit?
Definitionen zum Lieferkettengesetz
Das Lieferkettensorgfaltsgesetz (LkSG) ist zunächst ab dem 1. Januar 2023 für Unternehmen mit mindestens 3.000 Arbeitnehmenden verpflichtend. Ab 2024 sinkt diese Schwelle auf mindestens 1.000 Arbeitnehmende. Zur Ermittlung, ob ein Unternehmen diese Schwellen erreicht, ist laut dem Referat CSR (Gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen) im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) die allgemeine Arbeitnehmerdefinition des § 611a BGB anzuwenden. Zudem ist zu berücksichtigen, ob der Arbeitnehmende kennzeichnend für die maßgebliche Größe des Unternehmens ist. Das ist gegeben, wenn die Beschäftigungsdauer mindestens sechs Monate beträgt.
Die Lieferkette im Sinne des Gesetzes bezieht sich auf alle Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens. Sie umfasst alle Schritte im In- und Ausland, die zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistungen erforderlich sind, angefangen bei der Gewinnung der Rohstoffe bis hin zu der Lieferung an den Endkunden, und erfasst
- das Handeln eines Unternehmens im eigenen Geschäftsbereich,
- das Handeln eines unmittelbaren Zulieferers und
- das Handeln eines mittelbaren Zulieferers.
Der Begriff Lieferkette ist im Gesetz weit definiert. Risiken bei den für Hilfsschritte (zum Beispiel Gebäudereinigung oder Kantinenbetrieb) zuständigen Zulieferern können laut dem BMAS aber häufig ganz vernachlässigt oder mit geringen Bemühungen bearbeitet werden – entweder weil ein Verursachungsbeitrag (vgl. § 4 Abs. 2 LkSG) fehlt, oder weil der Verursachungsbeitrag gering ist (vgl. § 5 Abs. 2 LkSG).
Grundsätzlich sollen auch Unternehmen, die nicht unmittelbar in den Anwendungsbereich des LkSG fallen, Sorgfaltspflichten umsetzen. Die VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte richten sich jedenfalls an alle Unternehmen. Und bereits seit 2016 gilt der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP), der entsprechende Erwartungen an alle in Deutschland ansässigen Unternehmen formuliert.
Wenn Unternehmen außerhalb des Anwendungsbereiches des LkSG direkte Zulieferer von Unternehmen sind, die unter das Gesetz fallen, können sie darüber hinaus durch ihre Vertragsbeziehung (in der zum Beispiel menschenrechtsbezogene Erwartungen festgeschrieben sein könnten) zur Umsetzung von Sorgfaltspflichten angehalten werden.
Auf den Punkt gebracht: Das Preis-Leistungs-Verhältnis wird laut Barbara Liebermeister immer mehr zu einem Preis-Leistungs-Fairness- und Nachhaltigkeitsverhältnis. Und genau diese Entwicklung spiegelt sich im Lieferkettengesetz wider. "Wir empfehlen deshalb unseren Kunden einen Sichtwechsel", erklärt Dr. Jens-Uwe Meyer, dessen Unternehmen unter anderem Software zum Umsetzen der Anforderungen des Lieferkettengesetzes entwickelt: "Nämlich das Gesetz als Chance zu begreifen, um sich im Markt als verantwortungsvolles, nachhaltig wirtschaftendes Unternehmen zu profilieren."
Wie kann ein Unternehmen diese Chance nutzen? Hierfür gebe es drei Wege:
Weg 1
Unternehmen können sich nach Normen wie der ISO 14001 (Umweltschutzmanagement) oder der ISO 45001 (Arbeitsschutz) zertifizieren lassen, um zu zeigen, dass sie zumindest Teile der Auflagen des Lieferkettengesetzes erfüllen. Der Vorteil: Nimmt man die Dienste namhafter Zertifizierer wie des TÜV oder der Dekra in Anspruch, kann man sich mit deren Siegel schmücken. Der Nachteil: Selbst für kleine und mittlere Unternehmen werden schnell Investitionen im vier- bis fünfstelligen Bereich fällig.
Weg 2
Einen Nachhaltigkeitsbericht nach den Vorgaben des deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) veröffentlichen. Der Vorteil: Die Dienste des DNK sind kostenlos, denn der Nachhaltigkeitskodex geht auf eine Initiative der Bundesregierung zurück. Der Nachteil: Das Erstellen eines Nachhaltigkeitsberichts gemäß den Anforderungen ist zeit- und ressourcenaufwendig. Zudem kennt das Siegel zumindest außerhalb von Deutschland fast niemand.
Weg 3
Sich von Anbietern wie Ecovadis oder Innolytics auf Basis einer Selbstauskunft ein Compliance-Profil erstellen lassen, also eine fundierte Angabe darüber, welche Anforderungen man erfüllt. "Solche publizierten Selbstauskünfte“, erklärt Dr. Jens-Uwe Meyer, „sind zwar zunächst nur Versprechen der Unternehmen, diese kann aber aufgrund ihrer Veröffentlichung jeder einsehen, kritisch hinterfragen und kontrollieren. Deshalb haben sie eine starke Wirkung."
Die sogenannte Rechenschaft gegenüber der Öffentlichkeit ist ein zentrales Prinzip von Normen wie der ISO 26000, die Grundsätze für verantwortungsvolle Unternehmen aufstellt. Innolytics etwa bildet diese Norm, die auch Bestandteil des Lieferkettengesetzes ist, in seiner Software ab: Das Unternehmen füllt einen Fragebogen aus, danach erhält es eine Sofortauswertung und kann das entsprechende Siegel in seine Website einbinden. Ecovadis hingegen hat eigene Standards und das dahinterstehende Verfahren ist zeitaufwendiger – unter anderem deshalb, weil hier Dokumente hochgeladen werden müssen, die geprüft werden.
"Die Unternehmen müssen letztlich selbst entscheiden, welchen Ansatz sie verfolgen", betont Vertriebsberater Christian Herlan – "und zwar abhängig davon, in welchem Markt sie aktiv sind, wer ihre Zielkunden sind und wofür sie den Nachweis brauchen". Zunehmend wichtig sei es aber, dass sie belegen können, sich mit solchen Themen wie Nachhaltigkeit und Social responsibility – also der sozialen Verantwortung – auch bei der Auswahl ihrer Lieferanten ernsthaft zu befassen. Denn hieraus würden immer größere Wettbewerbsvorteile erwachsen.
Lukas Leist, Wirtschaftsinformatiker | guenter.herkommer@holzmann-medien.de