Kommunen sind nach dem Gesetz nur im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten zum Räumen der Straßen verpflichtet. Würde sich aber die Verwaltung der Stadt Oberwiesenthal darauf berufen, wäre der wirtschaftliche Schaden immens. Seit 1936 anerkannter Kurort, ist der Wintertourismus die wichtigste Einnahmequelle der ortsansässigen Unternehmen.
Nach dem Räumen ist vor dem Räumen
-Mario Graupner ist in einem schneesicheren Urlaubsparadies zu Hause und begeisterter Wintersportler. Jedes Jahr muss er aber warten, bis am Fichtelberg im Erzgebirge die letzte Loipe geschmolzen ist: „Dann kann auch ich endlich Urlaub machen und anderswo Ski laufen.“ Wenn nämlich ab Mitte November bis Ende März täglich bis zu 20.000 Gäste den Kurort Oberwiesenthal besuchen, muss der Leiter des städtischen Bauhofs mit seinem Team stets präsent sein.
„Schnee ist unser Leben“, weiß Bürgermeister Mirko Ernst. Wenn in Höhenlagen zwischen 789 m und 1.214 m über dem Meeresspiegel der Winter einkehrt, wird es in der 2.550-Einwohner-Gemeinde lebendig: „Dann sind 4.014 Hotelbetten ausgebucht und die Skilifte laufen auf Hochtouren“, so Mirko Ernst. Nirgendwo sonst im Erzgebirge gibt es den ganzen Winter hindurch eine dicke Schneedecke. Der Bürgermeister: „Aufgrund der besonderen geografischen Lage ähnelt das Oberwiesenthaler Klima alpinen Wetterverhältnissen in 3.000 Meter Höhe.“
Kein Wunder, dass hier Frau Holle gern ihr Bett ausschüttet. „Bisher hat es noch keinen Monat ohne Schneefälle gegeben“, erinnert sich Mirko Ernst. Früher hätten an der Kippe die abgeräumten Schneemassen unter der Splittdecke das ganze Jahr überdauert. Deshalb habe man im Sommer gern vor den Häusern von Brautpaaren und Jubilaren Schneeberge aufgeschüttet. Zum Gaudi der Gäste und der Touristen.
Schnee ist also ein Imagefaktor für den Kurort Oberwiesenthal. Die weiße Pracht belebt die Wirtschaft in der Region. Andererseits behindert sie den Verkehr. „Wenn aber die Infrastruktur nicht stimmt, können keine Gäste kommen“, erläutert Mirko Ernst. Auch müssen Hotels und andere Unternehmen regelmäßig beliefert werden. Deshalb leistet sich die Kommune einen Winterdienst in Eigenregie. Der Bürgermeister: „Weil Oberwiesenthal ein kleiner Kurort ist, sind wir von Rechts wegen gar nicht dazu verpflichtet.“
Kooperation mit privaten Dienstleistern
Von Kommunen sei nicht die Durchführung unbegrenzter Winterdienst-Pflichten zu fordern. Sie bestünden nur im Rahmen der tatsächlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit, befand Ende 1990 der Bundesgerichtshof. Das wirtschaftlich Machbare ist ebenso Basis etlicher anderer Urteile zu diesem Thema. Dessen ungeachtet nimmt sich die Verwaltung der Heimatstadt von Olympiasieger Jens Weißflog selbst in die Pflicht. Mirko Ernst: „Im besonders schneereichen Winter 2005/2006 haben wir 200.000 Euro für den Winterdienst ausgegeben.“
28 Straßenkilometer in der Kernstadt sowie vier Großraumparkplätze an Zufahrtsstraßen und neun kleinere Parkflächen – insgesamt knapp 78.468 m2 – werden in Eigenregie geräumt. In den tiefer gelegenen Ortsteilen Hammerunterwiesenthal und Unterwiesenthal stehen indessen die Mitarbeiter eines Pferdehofs und eines Forstwirtschaftsbetrieb dafür gerade, dass ab 9 Uhr morgens sämtliche Straßen befahrbar sind. Darüber hinaus wird ein Oberwiesenthaler Fuhrunternehmer mit dem Abtransport der weißen Pracht beauftragt, wenn die Halden an den Straßenrändern eine gewisse Höhe erreicht haben und die Straßen zu eng geworden sind. Die an der Peripherie der Stadt zur tschechischen Grenze führende B 95 wird durch Dritte geräumt.
Im städtischen Bauhof sind Mario Graupner und fünf weitere Mitarbeiter das ganze Jahr über vollzeitbeschäftigt. „Außerhalb der Schneesaison sind wir für die Grünpflege, die Müllbeseitigung, den Straßenunterhalt sowie die Betreuung städtischer Grundstücke und die Organisation von Veranstaltungen der Gästeinfo verantwortlich“, so der Leiter des Bauhofs. Wenn der erste Schnee gefallen ist, werden zusätzlich drei Saisonmitarbeiter für den Winterdienst eingestellt.
„Der Aufwand für die Straßenräumung ist von der Witterung abhängig und kaum planbar“, so Mario Graupner. Deswegen haben alle Mitarbeiter Stundenkonten. Der Leiter des Bauhofs informiert sich zwar täglich bei „Wetterfröschen“ wie Kachelmann & Co., ob er mit seinem Team am nächsten Morgen ausrücken muss oder nicht. „Die Vorhersagen treffen aber nur bis zu 60 Prozent zu“, weiß er. Ohne langjährige Erfahrung und eine gute Spürnase wäre also der Winterdienst kaum zu organisieren.
Kostenersparnis durch Streusalz
Sind über Nacht mehr als 5 cm Neuschnee gefallen, beginnt der Arbeitstag frühmorgens um 4 Uhr. „Oft mit Open End“, plaudert Mario Graupner aus dem Alltag. Vier Mitarbeiter sind jeweils für die Räumung eines festgelegten Reviers verantwortlich. Der fünfte beginnt um 5 Uhr zu streuen. „Seit drei Jahren streuen wir mit Salz, weil Splitt sich nicht bewährt hat“, berichtet der Leiter des Bauhofs.
75 Prozent von bis zu 1.000 ausgestreuten Tonnen Splitt habe man im Frühjahr zusammenkehren müssen. Mario Graupner: „Ein nicht zu unterschätzender Kostenfaktor. Hinzu kommen die Schäden in der Kanalisation.“ Viele Kfz-Fahrer hätten in dem Glauben, auf Splitt sicher zu fahren, zu viel Gas gegeben. Mit dem Resultat, dass insbesondere im Frühwinter zahlreiche Autos während der Abfahrt bei bis zu zehn Prozent Gefälle verunglückten. „Seitdem wir mit Salz streuen, ist die Unfallquote um 80 Prozent gesunken“, so Mario Graupner.
Schließlich habe der Splitt auch zahlreiche Reifen- und Lackschäden verursacht. Salz werde hingegen nur bei Temperaturen zwischen +1°C und –4°C großflächig gestreut. Durch eine neue Dosieranlage kann die notwendige Salzmenge exakt auf die jeweilige Temperatur und die Niederschlagsmenge abgestimmt werden. Der Leiter des Bauhofs: „Dadurch konnten wir den Salzverbrauch um 20 Prozent senken.“
Moderne Fußböden seien unempfindlich gegen eingeschlepptes Salz, weiß Mario Graupner. Und wenn Waldi gleich nach dem Gassigehen die Pfoten abgewaschen werden, kann ihm das Salz nichts anhaben. Allenfalls wird auf den Winterwanderwegen nach wie vor Splitt gestreut.
Spätestens um 9 Uhr sind im Kurort Oberwiesenthal und seinen Ortsteilen sämtliche Straßen in der Stadt befahr- und begehbar. Mario Graupner: „Bis zum Mittag sind wir mit Nebenarbeiten beschäftigt.“ Falls die geräumten Fahrbahnen abermals zuschneien, wird ab 12.30 Uhr wieder geräumt. Unter Umständen sind bis Einbruch der Dunkelheit sogar ein drittes Mal die Räumfahrzeuge unterwegs. „Zumindest die Hauptverkehrsstraßen müssen für Feuerwehr- und Rettungsfahrzeuge, aber auch Reisebusse befahrbar sein“, so Mario Graupner. Kein Wunder, dass ein Arbeitstag zuweilen zehn Stunden dauert.
Rechtssicherheit durch Dokumentation
Ist die Räumung des kompletten Straßennetzes freiwillige Leistung der Kommune, so ist diese wie jeder andere Grundstücksbesitzer indessen per Gesetz verpflichtet, die Fußwege vor städtischen Immobilien, kommunalen Parkplätzen und Bushaltestellen räumen zu lassen. „Zwei Mitarbeiter haben bis zum Mittag alle Hände voll zu tun, um diese Bereiche mit dem Multicar freizuschaufeln und zu bestreuen“, erklärt der Leiter des Bauhofs. Bei heftigem Schneefall müssen sie die Räumungsarbeiten wiederholen. Mario Graupner: „Die ganze Woche sind wir auf Überstunden eingerichtet.“ Sonntags würden allerdings nur die Hauptverkehrswege geräumt. „Sogar bei uns kommt es vor, dass es an einem Wochenende nicht schneit. Dann können wir Überstunden kompensieren und ausschlafen.“
Und dennoch: Wenn es in Oberwiesenthal Winter wird, ist für die Mitarbeiter des Bauhofs nach dem Schneeräumen vor dem Schneeräumen. Mario Graupner: „Dies ist nur möglich, wenn auch die Angehörigen dahinterstehen.“ Nicht selten kommt es vor, dass wegen eines plötzlichen Schneeschauers ein geplanter Weihnachtsmarktbesuch verschoben werden muss. Oder zumindest unterbrochen: „Wer Bereitschaftsdienst hat, muss stets sein Handy dabeihaben“, so der Leiter des Bauhofs.
Zu Beginn des Winters wird jedem Beschäftigten ein Winterdienst-Plan mit allem Wissenswerten über die zu räumenden Reviere überreicht. Eine Winterdienst-Belehrung gewährleistet jedes Jahr aufs neue Rechtssicherheit. Mario Graupner: „Alle Mitarbeiter müssen ihre Einsätze in Streubüchern dokumentieren.“ Die können unter Umständen bei Prozessen als wichtiges Beweismaterial herangezogen werden.
Der Altersdurchschnitt des Teams beträgt 45 Jahre. „In den vergangenen zwei Jahren hatten zwei Mitarbeiter die Altersgrenze erreicht“, so der Leiter des Bauhofs. Deshalb wurden zwei Männer in den Dreißigern neu eingestellt. „Sie sind relativ jung“, meint Mario Graupner. Als Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr seien sie aber unregelmäßige Einsätze gewohnt und hätten auch das notwendige Verantwortungsgefühl und sind somit insgesamt gut motiviert.
Preissteigerungen für Diesel machen das Leben schwer
Sämtliche Fahrzeuge sind mit modernster Technik und komfortabel ausgestattet. Mario Graupner: „Klimatisierte Fahrerkabinen und luftgefederte Sitze entsprechen den allgemeinen Anforderungen an einen modernen Arbeitsplatz.“ Gerade bei Arbeitseinsätzen mit hoher körperlicher Belastung wirken sie sich positiv auf die Gesundheit und die Motivation der Mitarbeiter aus.
Dennoch blicken Mirko Ernst und Mario Graupner mit Sorgenfalten in die Zukunft: „Wir haben viel Geld investiert, um Kostenfaktoren zu reduzieren. Nun sehen wir aber keine Einsparmöglichkeiten mehr“, so der Bürgermeister. Aufgrund der Dieselpreissteigerung um insgesamt 25 Prozent in den vergangenen beiden Jahren seien sämtliche Sparmaßnahmen wirkungslos geblieben. Zudem seien in den Servicewerkstätten die Lohnkosten gestiegen, bedauert Mirko Ernst.
„Wenn es heftig schneit, werden Bundesstraßen und Autobahnen geschlossen. Wir aber versuchen in 1.000 m Höhe die Zufahrtsmöglichkeiten zu erhalten“, so Mario Graupner. Unter diesen Bedingungen sei es gar nicht selten, dass innerhalb einer Woche 4.000 l Diesel verbraucht werden. Die Kostensteigerungen würden auch an den Subunternehmern nicht spurlos vorbeigehen, weiß der Bürgermeister. „Dennoch sind wenigstens die Preise unserer Partner stabil geblieben.“