Fällt die Reinigungskraft aus, sind dafür häufig Beschwerden beziehungsweise Erkrankungen des Bewegungsapparates aufgrund unergonomisch ausgeführter Arbeiten die Ursache. Zusammen mit dem Institut für ganzheitliches Gebäudemanagement geht der Dienstleister HCS Facility Management die Problematik an.

Schulter, Hände, Rücken, Knie – kaum eine Reinigungskraft, die nicht schon einmal über Schmerzen in einer oder gar mehreren dieser Körperpartien geklagt hätte. Leistungsminderungen können die Folge sein, im schlimmsten Fall führen die Fehlbelastungen zur Erkrankung und damit zum Arbeitsausfall. Zwar gibt es keine offiziellen Zahlen zu den damit verbundenen Kosten für Arbeitgeber und Krankenkassen; dem betriebsärztlichen Gesundheitsbericht für Reinigungskräfte der BG Bau lässt sich allerdings entnehmen, dass rund 20 Prozent der Beschäftigten unter Erkrankungen des Muskel-Skelettsystems leiden.
Daraus resultierende Ausfälle können durchaus langwierig sein: Das Ausheilen von Rücken- und Bandscheiben-Problemen dauert nach Erhebungen der deutschen Rentenversicherung in der Regel drei Monate; bei einem Karpaltunnelsyndrom ist meist mit einem halben Jahr zu rechnen. Dem gilt es entgegenzusteuern, denn: "Die Reinigungskraft ist das Kapital beziehungsweise das höchste Gut des Dienstleisters" – so Cornel Klaßen, Leiter Entwicklung des Instituts für ganzheitliches Gebäudemanagement (IFGM) aus Münster und selbst Gebäudereinigungsmeister sowie Fachwirt für Gebäudemanagement (HWK).
Reinigung ganzheitlich betrachten
Neben der Prävention ist ein Schwerpunkt des IFGM die Beratung bei Ausschreibungsverfahren sowie die anschließende Implementierung und nicht zuletzt eine nachhaltige Umsetzung von Gebäudediensten über die gesamte Vertragslaufzeit. Alles Handeln orientiert sich dabei an den "Sieben Faktoren der Reinigung", die in der Branche allerdings noch zu wenig bekannt seien:
- Prozesse
- Verfahren
- Techniken
- Schulung
- Qualitätsmanagement
- Kommunikation
- und nicht zuletzt die Ergonomie
Klaßen hierzu: "Wer die vier Faktoren des Sinnerschen Kreises kennt, weiß zwar, wie sich Schmutz entfernen lässt, betrachtet die Reinigung aber nicht zwingend ganzheitlich, ausgehend vom Nutzerverhalten und unter Einbeziehung des betrieblichen Gesundheitswesens, was elementar dazugehören sollte."
Um speziell das Thema Ergonomie in der Gebäudereinigungsbranche noch stärker zu verankern, hat das Institut durch Christian Talaga, offizieller Physiotherapeut und Rückenschullehrer der BG Bau, den Präventionskurs "Fitness für Reinigungskräfte – Es kann so einfach sein" konzipiert und von der zuständigen Kooperationsgemeinschaft gesetzlicher Krankenkassen zertifizieren lassen.
Im Rahmen eines ersten Pilotprojekts mit dem Dienstleiter HSC Facility Management aus Ibbenbüren werden aktuell 14 Reinigungskräfte entsprechend geschult, die bei der DKV-Residenz in Münster ergänzend zum hauseigenen Reinigungsteam für die Unterhaltsreinigung sorgen – im Dreischichtbetrieb von 5 Uhr morgens bis 17:30 Uhr abends an 365 Tagen im Jahr. Bei der DVK-Residenz am Tibusplatz handelt es sich um einen weitläufigen Gebäudekomplex, der für rund 250 ältere Menschen Wohn- und Lebensraum bietet.
Enorm wichtig: dehnen und kräftigen
In besagtem Kurs geht es in erster Linie darum, die Mitarbeiter von HCS fit zu machen für die körperlich anstrengenden Tätigkeiten – und zwar nachhaltig! Im Rahmen der insgesamt acht Unterrichtseinheiten zu je 70 Minuten bringt der Physiotherapeut Christian Talaga den Reinigungskräften spezielle Übungen bei, mit denen sie ihren Bewegungsapparat je nach Körperregion beziehungsweise Problemzone gezielt dehnen und auch kräftigen können.
Ebenfalls Thema der Unterweisung sind die individuell angepasste Einstellung sowie der richtige Gebrauch von Reinigungsgeräten – etwa von einem Teleskopstiel – und nicht zuletzt die korrekte Körperhaltung während der Reinigungstätigkeit. Die Übungseinheiten finden einmal pro Woche ab 13 Uhr statt und damit entweder nach der Frühschicht oder vor Beginn der Spätschicht. Am Ende des Kurses erhält jeder Teilnehmer ein Zertifikat über die Teilnahme sowie einen Flyer, in dem sämtliche Übungen nochmals detailliert beschrieben sind.
Doch wie motiviert man die Teilnehmer, auch über den Kurs hinaus an der eigenen Fitness zu arbeiten? Christian Talaga hierzu: "Idealerweise lebt der Vorgesetzte respektive die Vorarbeiterin oder der Vorarbeiter das aus den Übungseinheiten Mitgenommene im alltäglichen Betrieb vor. Wenn der Einzelne dann merkt, dass ihm bestimmte Übungen guttun und seine Beschwerden dadurch abklingen, sollte dies Motivation genug sein, nachhaltig an dem Thema dranzubleiben." Darüber hinaus sei die Objektleitung gefordert, die Umsetzung angfristig zu kontrollieren und bei Bedarf korrigierend einzugreifen.
Dienstleister geht in Vorleistung
Die Kosten für die Kursteilnahme liegen pro Person bei rund 120 Euro. 80 Prozent davon erstattet in der Regel die Krankenkasse, die restlichen 20 Prozent muss der Versicherte theoretisch selbst tragen. Nicht so im Fall von HCS: Hier übernimmt der Arbeitgeber den Versichertenanteil und geht für die gesamten Kurskosten zudem komplett in Vorleistung.

"Mit unserem Engagement möchten wir zunächst das Bewusstsein bei den Reinigungskräften schaffen, mehr auf sich Acht zu geben, und ihnen aufzeigen, welche Vorteile sie davon haben, wenn es ihnen persönlich gut geht", erläutert Prokuristin Tanja te Gempt die Motivation des Dienstleister aus Ibbenbüren und fügt hinzu: "Letztendlich kommt es dann auch uns beziehungsweise den Objektleitern zugute, wenn sich dadurch die Ausfallzeiten reduzieren lassen."
Bei den zunächst 14 Mitarbeitern, die aktuell im Rahmen des Pilotprojektes bei der DKV-Residenz an ihrer Fitness arbeiten, soll es nicht bleiben. Ziel von HCS ist es, sukzessive allen Mitarbeitern entsprechende Kurse idealerweise vor Ort in den von ihnen betreuten Objekten anzubieten. Und auch darüber hinaus hat sich HCS in puncto Ergonomie noch einiges vorgenommen: Nach und nach sollen sämtliche Mitarbeiter/Objekte beispielsweise mit ergonomisch gestalteten Teleskopstielen mit beweglicher Kugel am Ende des Stiels ausgestattet werden.
Damit lassen sich unter anderem ungünstige Drehbewegungen des Handgelenks vermeiden. Derzeit liegt der Anteil solcher Materialien bei etwa 40 Prozent. Staubsauger mit Teleskopstielen auszustatten sei ebenfalls ein wichtiges Thema, und auch was die Maschinenbedienung angeht – etwa von Scheuer-/Saugmaschinen – stellt der seit 2017 zur Servico Holding gehörende Dienstleister zunehmend den Gesundheitsaspekt in den Vordergrund.
Ergonomische Arbeitsmaterialien einsetzen
Auf die Frage, welchen Stellenwert die Ergonomie heute in der Branche insgesamt hat, entgegnet Tanja te Gempt: "Projekte wie das, was wir gerade mit dem IFGM umsetzen, sind in meinen Augen eher noch die Ausnahme." Ähnlich sieht dies Cornel Klaßen: "Wenn sich Reinigungsbetriebe mit Ergonomie beschäftigen, dann meist nur im Kontext der Bodenreinigung. Dabei entstehen die Problematiken oft dann, wenn man vom Boden weggeht.
Vielfach herrscht beispielsweise noch das Denken vor, dass etwa ein Tisch, Stuhlbeine oder Spiegel- und Bilderrahmen nur per Hand mit einem Mikrofasertuch zu reinigen sind – unergonomische Körperhaltungen sind hier vorprogrammiert. Dabei lassen sich diese Tätigkeiten ebenfalls mit einem Teleskopstiel und entsprechenden Aufsätzen effizient erledigen."
Deutschland hinkt bei Ergonomie hinterher
Blickt man über die Landesgrenzen, haben uns andere Länder in puncto betriebliche Gesundheitsvorsorge nach Erfahrung von Cornel Klaßen zum Teil einiges voraus – etwa die Niederlande. Ergonomie sei dort standardmäßig in der 16 Stunden dauernden Ausbildung verankert. Auch die Dienstleister selbst hätten hier häufig bereits die Denke verinnerlicht: Reinigungskräfte verdienen für uns das Geld und verdienen dementsprechend das beste Material sowie eine umfassende Gesundheitsförderung.

"In Deutschland ist eine solche Sichtweise – auch wenn nach außen oft der Eindruck erweckt werden soll – in der Realität leider nicht vorhanden", bemängelt Klaßen und appelliert an alle Beteiligten in der Branche: "Wir müssen von ‚Billiger-Jakob‘-Ausschreibungen wegkommen und stattdessen die Faktoren Ausbildung und Gesundheitsvorsorge schon im Rahmen der Ausschreibungen vernünftig berücksichtigen respektive mit einpreisen!"
Und wie steht am Ende der Kunde zu den Vorsorgeaktivitäten von HCS Facility Management? Letztendlich könnten ihm diese einerlei sein, Hauptsache der Dienstleister erbringt die vertraglich vereinbarte Leistung. Ulrike Dieker, der die Leitung der Gebäudereinigung seitens der DKV-Residenz obliegt, bezieht dazu klar Stellung: "Uns ist es mitnichten egal, wie die Leistung erbracht wird. In unserer Einrichtung verbringen rund 250 Bewohner ihr Leben, das wollen wir ihnen so angenehm wie möglich gestalten – und dazu gehört auch die Reinigung.
Die Mitarbeiter von HCS arbeiten teilweise schon viele Jahre in unserem Haus und gehören demzufolge sowohl für uns als auch für unsere Bewohner mit zur Familie. Schon deshalb sind wir darauf bedacht, dass es ihnen gut geht. Aus demselben Grund könnten wir es uns zudem nicht erlauben, einen Leistungswert festzusetzen, der mit Blick auf das Wohlbefinden der Reinigungskräfte nicht tragbar ist. Insofern begrüßen wie Projekte wie das von HCS und dem IFGM ausdrücklich."
Ergonomie und Arbeitseffizienz: klappt das?
Dabei müssen Ergonomie und Arbeitseffizienz keinesfalls im Widerspruch stehen, wie Cornel Klaßen abschließend ausdrücklich betont: "Wir betreuen Objekte, die mit einer deutlich höheren Quadratmeterleistung als üblich in der ergebnisorientierten Unterhaltsreinigung laufen, ohne die Reinigungskräfte zu verheizen. Mit dem richtigen Reinigungsverfahren, dem geeignetem Material und einer ergonomischen Arbeitsweise ist das durchaus machbar. In diesen Objekten gibt es wenig Probleme und auch kaum Personalwechsel."
Bei dem Projekt "Fitness für Reinigungskräfte – Es kann so einfach sein" soll es letztlich nicht bleiben. So plant das Institut für ganzheitliches Gebäudemanagement in einem weiteren Schritt, die Kursinhalte an Menschen mit körperlichen Einschränkungen – etwa an Rollstuhlfahrer – anzupassen. Ein Vorhaben, an dem insbesondere die Behindertenverbände großes Interesse zeigen.